Lebensgefühl Rockmusik HH aus EE
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.
Gundermann – ein Abend der Erinnerungen in Weimar 28.02.2015 Woran es liegt, vermag ich nicht zu sagen. Es fühlt sich einfach gut und richtig an, wenn ich die Lieder von Gerhard Gundermann höre und wenn ich mich an das erinnere, was ich mit diesem Mann in Verbindung bringe. Zwar bin ich nicht in jenem Landstrich geboren, aber ich habe sechs Jahrzehnte meines Lebens in der Lausitz verbracht. Der Geruch von Kokerei in der Nase, der Kohlenstaub auf dem Fensterbrett und der sandige Boden unter den nackten Füßen waren stets präsent.. Ich kenne „Steinland“ verdammt gut, denn dort habe ich gespielt, im Sommer in den Kiesgruben gebadet und im Winter auf den Abhängen mit dem Schlitten gerodelt. Ich weiß auch, was Deputatkohle ist, weiß wie „Kumpeltot“ schmeckt und wie sich die Birne nach dem Rausch anfühlt. Das alles vergisst man nicht und auch nicht sechs Dekaden Leben mit allen Facetten. Nur ein wenig bewusster hätte ich damit umgehen sollen, denke ich heute manchmal. Doch wir hatten ja Gundermann und der besaß die beneidenswerte Gabe, genau das, nämlich die Facetten, aufbewahren zu können. Er tat es mit Gedanken, die er in Worte zu gießen verstand, und mit Melodien, die teilweise für die Ewigkeit taugen. Er hätte am 21. Februar 2015 seinen runden 60. Geburtstag begehen können. Damit seine Gedanken und Lieder, die auch die meinen und vieler anderer waren und wieder sind, nicht vergessen werden, müssen sie klingen und gehört werden. Deshalb fahre ich nach Weimar, um bei einem Abend der Erinnerungen dabei zu sein. Dass ich zu spät im „mon ami“ ankomme und nur das letzte Drittel vom „Ende der Eisenzeit“ sehen kann – geschenkt. Ganz hinten findet sich im Dunkeln ein Stehplatz. Ad hoc bin ich in eine Zeit versetzt, die es heute nicht mehr gibt. Manche Antwort der Befragten, von Bettina Wegener bis Andy Wieczorek, ermahnen ohne den erhobenen Zeigefinger, nichts zu vergessen, sondern es nur, im richtigen Zusammenhang sachlich zu bewerten und bitte niemanden pauschal zu verurteilen. Als ich rausgehe, habe ich wieder einmal viel mehr Fragen als Antworten mitgenommen und die Gewissheit, dass wir alle weiter suchen und verstehen müssen, damals wie heute. Nichts ist wirklich endgültig und die Wahrheit ein riesengroßes Mosaik, das ständig weiter wächst. Der Film lässt die Widersprüchlichkeiten ahnen, in denen wir damals lebten, ohne uns individuelle Momente des kleinen Glücks vorzuenthalten. Auf dem Flur treffe ich auf den Mann, der mir den eigentlichen Anlass lieferte, hierher zu fahren: Johan Meijer. Der „Vliegende Hollander“ hatte mich bei einem Konzert der Seilschaft im Freiberger Tivoli im Oktober 2012 neugierig gemacht und in der Folge bekam ich Gelegenheit, zwei seiner Alben zu beschreiben. Hier in Weimar wird er mit seinem Partner Jos Koning als Duo Grenszland auf der Bühne musizieren. Auf dem Flur stehen wir uns endlich gegenüber und im großen Saal finden wir während der Pause Gelegenheit, ein wenig miteinander und übereinander zu plaudern. Vielen Dank Johan und Jos für diese Möglichkeit. Einen festen Plan dafür gibt es heute nicht nicht offene Bühne. Ich entschließe mich, mit Johan und Jos dem ERICH-FRIED-CHOR aus Berlin zuzuhören. Als ehemaliger Chorsänger bin ich neugierig, wie Gundi-Lieder vielstimmig klingen werden und womit der Chor vielleicht außerdem überraschen kann. Ein kleines Programmheft hat mich jedenfalls sehr neugierig gemacht. Was der volle Saal dann erlebt, kann man eigentlich gar nicht beschreiben. Eine Stunde Chorgesang in unterschiedlichen Varianten und Stimmungen, mit draller Begeisterung („Asim Bonanga“) und leiser Fassungslosigkeit („Fragile“) sowie Staunen mit offenem Mund („Weary Cutters“) plus einem Rausch von Gundermann („Fliegender Fisch“), vielstimmig im Chor. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal derart dynamisch, modern und ergreifend einen Jugendchor singen hörte. Es hat mich stellenweise, mal unheimlich leise und dann wieder überschwänglich laut, einfach nur umgehauen. Auf die Idee zu kommen, so ein Programm mit dem „Lied von der Moldau“ zu starten, ohne die May vordergründig zu covern, sondern die Botschaft zu betonen, empfinde ich als gewagten, ehrlichen Brückenschlag über die Zeiten hinweg und als politische Klammer, die immer gültig war und ist: Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne der Mächtigen kommen am Ende zum Halt. Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne, es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt. Vielleicht wäre es gut gewesen, einige der „Mächtigen“ hierher zu delegieren, damit sie wieder einmal erinnert werden, „wo die Macht mit Wurzeln festgewachsen ist“ (Gundermann). Wir bekommen den „Chemical Workers Song“ zu hören, der dezent mittels Percussions aufgewertet wird. Jedem auf der Bühne sieht man den Spaß und die Hingabe an und beinahe wird daraus eine echte Gospel-Nummer. Ganz persönlich reißt mich, der die Platten von Steeleye Span im Regal hortet, die Interpretation von „Weary Cutters“ mit und die wunderschöne Version von „Johnny I Hardly Knew Ye“. Doch wirklich unter die Haut ging mir „Asim Bonanga“ von Peter Gabriel und dem Südafrikaner Johnny Clegg, ein Song, den beide Nelson Mandela und Steven Biko gewidmet haben und bemerkenswert authentisch dargeboten wird. Als sie dann auch noch „Biko“ von Peter Gabriel zitieren, hat eine Gänsehaut meinen ganzen Körper fest im Griff. Einfach fantastisch. Ach ja, natürlich hörten wir Lieder von Gerhard Gundermann und natürlich hatte das hier niemand anders erwartet. Gundis „Fliegenden Fisch“ mussten die Chorsänger sogar ein zweites Mal als Zugabe singen, aber auch „Gras“ oder das „Hochzeitslied“ sind zu hören. Mich hat einfach die stilistische und inhaltliche Vielfalt mitgerissen und die Begeisterung, die so ein Chor von der Bühne ausstrahlen kann. Da hatte ich schon ganz andere und steife Korkenzieher erleben müssen. Nein, dieser Chor aus Berlin ist einfach der absolute Hammer und die Zusammenstellung des Programms zeugt von ungemein viel Fingerspitzengefühl und Kenntnis, den Anlass und die Person betreffend. Am Ende tobt der Saal, wir klatschen uns die Hände wund und die Standing Ovations sind wohl verdient. Einfach Klasse! Außerhalb des „offiziellen“ Planes steht dann eine Person auf der Bühne, die mir wohlbekannt ist, weil Pierre Wilhelm aus Plessa stammt. Im jenem Kulturhaus durfte ich meine Ambitionen als Konzertveranstalter und Rock-Liebhaber in Einem austoben. Nach der Wende sollte die alte Hütte abgerissen werden und an gleicher Stelle ein Supermarkt entstehen. Plessaer Bürger haben die Hütte einfach „instandbesetzt“, viel Kraft, Energie und Zeit investiert und einen Verein gegründet, um dem, nunmehr denkmalgeschützten Haus, neues Leben einzuhauchen. Viele Künstler unterschrieben eine Petition, die diesem Ziel folgt und Pierre hatte die Idee, all diese Künstler mit Liedern von Gundi zu konfrontieren, auf dass sie ihnen ein neues Gewand überstreifen würden. Das Resultat ist die sehr schöne Doppel-CD „Gundis Lieder Gundis Themen“ voller Gundi–Versionen und eigenen Liedern mit Themen, die auch für Gundi hätten interessant sein können. Diese CD als Benefiz-Hommage zum 60. Geburtstag des singenden Baggerfahrers ist ein wundervoller Beitrag, der diesen Abend bereichert und die jedem der beteiligten Künstler dieses Abends als Geschenk mit auf den Weg gegeben wird. Einen Silberling hat er mir einfach in die Hand gedrückt. Danke und schön, Dich in diesen Stunden getroffen zu haben. Die Zeit ist fortgeschritten und der Zeitplan beginnt aus den Fugen zu geraten, als Carmen Orlet und der ex-Feuerstein Ingo „Hugo“ Dietrich auf die Bühne treten. Beide hatten und haben eine sehr enge Bindung zu Gundi und gehen mit diesem Erfahrungsschatz heute ihre eigenen musikalischen Wege. Einen Ausspruch, den Gundi damals CARMEN mit auf den Weg gab, habe ich von diesem Abend für mich auch mit nach Hause genommen: „Man muss die Kinder auswickeln, nicht einwickeln.“ Diese Einstellung ist irgendwie auch in den Liedern der beiden zu spüren, die sie klingen und leben lassen. Mir gehen sofort das effektive und akzentuierte Gitarrenspiel von HUGO und die glasklare Stimme von CARMEN in die Ohren. Das Zusammenspiel der beiden Künstler lässt irgendwie eine nachdenkliche, aber auch belebende Stimmung entstehen, die von den Liedern wie „Überlebe“ oder der „Frau in der Bahn“ ausgeht, zu dem sie während einer Fahrt zum Dreesch, einem Stadtteil von Schwerin, inspiriert wurde. Beide haben ihre ganz eigenen Ausdrucksformen gefunden, in die sie ihre eigenen, aber auch die Lieder von Gundermann, packen. Wenn ich eines herausheben sollte, dann jenes „Schüler- TÜV“ geprüfte von „Marvin“, dessen Eltern mit der Pubertät zu knappern haben und auch, wie sie einen steinalten Song von Marek Grechuta & Anawa „von den unbekannten Tagen, die wichtig sind“ interpretieren. Da hängen dann wieder viele eigene Erinnerungen dran. Ganz zum Ende singt uns Hugo, Gundis Vorliebe für Songs von Bruce Springsteen folgend, eine deutsche Fassung von „My Hometown, eine Liebeserklärung an HoyWoy, die offensichtlich noch immer aktuell ist. Danke dafür und für diese Stimmungen aus der Lausitz, wo auch etwas von mie, und sei es im Kulturhaus Plessa, zu finden ist. Inzwischen ist es Mitternacht, kurz davor oder danach. Keine Ahnung. Zu dieser Stunde ist das auch nicht mehr wichtig, denn letztlich bin ich hierher gefahren, um zwei Musiker als Duo GRENSZLAND mit ihren eigenen Versionen von Gundermann-Liedern sowie eigenen Liedern zu hören. Die Kombination von Gitarre und Violine mit Johan’s Stimme, die in anderer Sprache singt, verspricht ein besonderes Erlebnis in früher Morgenstunde und alle, die bis hierher ausharren, werden nicht enttäuscht. Gleich als erstes höre ich jenen Song wieder, der mich damals aufhorchen ließ. Aus der „Schwarzen Galeere“ macht Johan Meijer den „Vliegende Hollander“, der zur Mitternachtsstunde, nur von Geige und Gitarre unterstützt, vor unseren geistigen Augen vorüber segelt. Es ist der Duktus einer anderen Sprache in Kombination mit einem heftig schluchzenden düsteren Geigenspiel, das aufhorchen lässt und mich auch sofort fesselt. Die eigentliche Überraschung für mich, der ich im Kindesalter das Spiel der Geige erlernen sollte, musste und durfte, ist diese Art von Jos Koning, den vier Darmsaiten, die Töne und Akkorde zu entreißen und Stimmungen zu erzeugen. Johan Meijer ist einer, der die Geschichten, die seine Lieder erzählen, schon vorab sehr wirkungsvoll umschreibt und so wird das Staunen im Saal hörbar, wenn er das Gefühl für sein Zuhause (West)Berlin, inmitten der damaligen DDR, als „Insel im Roten Meer“ in ein Lied fasst. Auch die Erklärung für seinen Anti-Pegida-Song „Mein Soesterweg“ wäre auf einer CD äußerst wirkungsvoll aufgehoben. Gäbe es die kurzen einführenden Worte nicht, würde man wahrscheinlich nur die Hälfte dessen spüren, was seine Lieder uns zu erzählen vermögen. Das geht mir bei seiner Version von „Soll sein“ so und das spüre ich sehr deutlich, als er vom „Sterven voor een idee“ (Mourir pour des idees Georges Brassens) singt. Und wieder ist es das Spiel der Geige, das dem Song zusätzliche Schärfe verleiht. Gleich, welches Lied Anderer er sich aussucht, Johan versteht es, auf filigrane Weise daraus ein anderes, eigenes Werk zu erschaffen, das, wie bei „Herzblatt“, plötzliche eine völlig andere Wirkung erzielen kann. Der Begriff vom „Cover“ greift in diesem Fall einfach zu kurz, der Holländer gestaltet völlig neu. Die erste Morgenstunde des neuen Tages ist vollendet. Diejenigen, die bleiben konnten und wollten, erlebten eine spannende und intime letzte Stunde dieser Party für Gerhard Gundermann. Ich bin froh, entgegen anderer Planung, geblieben zu sein. Mit Duo Grenszland habe ich einen Höhepunkt am zeitigen Morgen genießen können und zwei wunderbare und liebenswerte Musikanten persönlich kennengelernt. Dafür bin ich sehr dankbar und dafür hat sich das Ausharren in den Morgen hinein gelohnt und auch, als allerletztes Lied (von Michael Jäger) „As Tears Go By“ zu hören. Es ist das erste Lächeln, das mir dieser Sonntagmorgen schenkt und das ich mit auf einen noch längeren Weg halb um den Harz herum mitnehmen werde, einem „weißen Strich über Land gemalt folgend, den ein alter und schlecht bezahlter Mann gemalt hatte“. Diese Stunden hätten der 60. Geburtstag für GERHARD GUNDERMAN sein können. Ein Fest und eine Feier der ganz besonderen Art ist es geworden, auch wenn der so Geehrte nicht selbst anwesend ist. Er lebt in uns, in unseren Herzen und durch seine eigenen Lieder weiter, weil sie sicher die Herzen auch derer erreichen werden, die noch lange nach ihm sagen werden „hier bin ich gebor’n“, dies ist mein Land, mein HoyWoy oder welches heimische kleine Kuschel-Nest auch immer.